"Hexenschuss - ist das wirklich ein deutsches Wort?", fragt eine junge Frau aus Griechenland. "Warum schießt dort eine Hexe?" Großes Gelächter geht durch den Übungsraum in der Volkshochschule Berlin Mitte. Auf dem Stundenplan des Integrationskurses steht das Thema "Gesundheitliche Beschwerden". Es kommt häufig vor, dass Julie Zuern, Lehrerin des Kurses, kuriose deutsche Wörter oder "typisch deutsche" Kultur erklären muss. Dabei ist sie selbst Französin. Ein Gespräch mit Frau Zuern, die Zuwanderern in 700 Stunden Deutschland vermittelt.

Die Dozentin erklärt den Kursteilnehmern etwas Die Dozentin erklärt den Kursteilnehmern etwas (Vergrößerung öffnet sich im neuen Fenster) Quelle: Henning Schacht Frau Zuern während einer Unterrichtsstunde

Sie geben einen Integrationskurs - was für eine Klasse unterrichten Sie gerade?

In meiner Klasse unterrichte ich 14 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus unterschiedlichen Herkunftsländern, u.a. aus der Slowakei, Mexiko, Griechenland, Ägypten, Iran und Syrien. Sie sind seit einem guten halben Jahr dabei und können sich mittlerweile ganz gut auf Deutsch verständigen. Ziel ist es, das Sprachniveau B1 zu erreichen. Wir sind auf einem guten Weg dahin.

Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen, Lehrerin für Integrationskurse zu werden? Welche Motivation haben Sie?

Ich bin Französin und lebe mit meiner Familie in Berlin. Ich weiß also wie es ist, neu in einem Land zu sein. Dazu kommt, dass ich bereits an der Volkshochschule Französisch unterrichtet habe, aber irgendwie möchte kaum jemand Französisch lernen. Ich habe also nach weiteren Betätigungen gesucht und erfahren, dass die Volkshochschule Integrationskurse anbietet. Das Zertifikat "Deutsch als Fremdsprache" hatte ich eh schon in der Tasche, ich habe mich aber dennoch nochmal fortgebildet, um der Zielgruppe bestmöglich Deutsch beizubringen.

Was ist eigentlich so ein Integrationskurs? Können Sie einmal erklären, wie dieser typischerweise abläuft?

Ein Integrationskurs besteht in der Regel aus 600 Unterrichtseinheiten Sprachvermittlung und 100 Unterrichtseinheiten Orientierungskurs, in dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nochmal Grundlegendes zur deutschen Kultur und Demokratie lernen. Der Integrationskurs dauert ungefähr sechs bis acht Monate. Am Anfang können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kaum Deutsch sprechen, noch nicht mal "Hallo" oder "Tschüss". Die Sprachprüfung am Ende ist schon ziemlich schwer, wenn man bedenkt, was sie für einen langen Weg hinter sich haben.

Grafik zum Integrationskurs Grafik zum Integrationskurs (Vergrößerung öffnet sich im neuen Fenster) Quelle: BAMF Aufbau und Inhalt eines Integrationskurses

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus unterschiedlichen Herkunftsländern. Wie läuft da die Verständigung ab?

Am Anfang mit Händen und Füßen. Ich spreche natürlich im Kurs ausschließlich Deutsch, aber wir verständigen uns anfangs auch viel mit Zeichensprache. Das ist sehr lustig und es klappt auch gut. Mit Gestik, Mimik und Geräuschen kann man sehr viel ausdrücken.

Wie reagieren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf den Kurs? Gibt es Berührungsängste oder Unverständnis?

Das Lernen im Klassenverband sind viele nicht gewohnt. Am Anfang bilden sich auch eher Grüppchen der gleichen Muttersprache. Aber das legt sich mit der Zeit. Es ist schön zu sehen, wie nach und nach eine Gemeinschaft entsteht. Es ergeben sich auch private Kontakte untereinander. Ansonsten verinnerlichen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer recht schnell, wie das zum Beispiel mit der Pünktlichkeit in Deutschland ist oder wie man sich begrüßt. An diesen Stellen kann ich auch gut mit meiner eigenen Herkunft spielen und sagen: "In Deutschland macht man das so. Ich komme aus Frankreich und da macht man vieles wieder anders".

Als Lehrerin eines Integrationskurses sind Sie vermutlich häufig erste Ansprechpartnerin für viele Belange. Mit welchen Fragen kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Sie zu?

Ich werde häufig gefragt, ob ich etwas übersetzen kann. Das sind dann offiziellere Schreiben oder Dokumente oder ähnliches. Manchmal ist man auch direkt Sprachmittler, dann bekommt man ein Handy in die Hand gedrückt und jemand sagt z.B. "Die Hebamme ist dran". Dann nehme ich das Telefonat entgegen und versuche anschließend der Schwangeren die Informationen verständlich zu machen. Abgesehen von den sprachlichen Hilfestellungen muss ich aber nicht viel unterstützen. Mein Eindruck ist, dass sie ganz gut zurecht kommen und wissen, wo sie sich Hilfe holen können.

Was macht Ihnen am meisten Spaß beim Unterrichten?

Ich liebe diese Vielfältigkeit an kulturellen Hintergründen. Es entstehen oft tolle Gespräche. Letzte Woche ging es zum Beispiel um Glücksbringer und Aberglaube. Da hat jeder aus seinem Land erzählt, woran die Menschen so glauben und welchen Gegenständen eine glücksbringende Wirkung nachgesagt wird. Eine Japanerin erzählte mir auch mal, dass sie in Deutschland kein Fahrrad fahren kann, weil die Rahmen viel zu groß sind. Auf sowas kommt man doch nicht, wenn man keinen direkten Kontakt mit den Menschen hat.

Was ist ihr größter Erfolg?

Ich bin sehr glücklich, wenn meine Schüler am Ende die Prüfung bestehen. Es gibt nicht den einen großen Erfolg, sondern viele kleine. Ein Teilnehmer hat beispielsweise nach dem Kurs einen Mini-Job angenommen als Sicherheitskraft in einem Konzerthaus. Der kam dann mit Anzug und Schlips nochmal vorbei und war unheimlich stolz. Ohne den Integrationskurs hätte er das nie geschafft.