Plenardebatte zur Aktuellen Stunde "Wehrhafte Demokratie gegen Demokratiefeinde und Vertreibungspläne"

Typ: Rede , Datum: 18.01.2024

Rede von Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    Deutscher Bundestag

  • Rednerin oder Redner

    Bundesinnenministerin Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren!

In diesem Jahr feiern wir, dass Deutschland seit 75 Jahren wieder eine Demokratie ist. Wir feiern unsere freiheitliche Verfassung, das Grundgesetz. Es ist eine Verfassung, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt, seine Würde, seine Rechte, die universelle Gleichheit aller vor dem Gesetz. Hinter diesen Errungenschaften stehen sehr bittere Lehren. Wir haben sie aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen: aus dem Scheitern von Weimar, aus den unsäglichen Verbrechen, die dem Aufstieg der Nationalsozialisten folgten, als Rassismus, Antisemitismus und nationalsozialistischer Größenwahn in millionenfachem Mord, Vertreibung und grenzenlosem Leid endeten.

Eigentlich sollten wir alle diese Lehren verstanden und verinnerlicht haben, in der ganzen Gesellschaft, aber ganz besonders hier im Deutschen Bundestag. Der Anlass, auf den diese Aktuelle Stunde zurückgeht, legt leider nahe, dass dem nicht so ist. Denn die aktuelle Berichterstattung ruft eine schmerzhafte Wahrheit ins Bewusstsein: Auch in Deutschland gibt es bereits seit Jahrzehnten rechte Netzwerke, die lange unterschätzt wurden. Ihre Vordenker hüllen ihre Absichten in beschönigende Verpackungen wie „Ethnopluralismus“ oder „Remigration“. Aber es geht ihnen in Wahrheit darum, Menschen zu diskriminieren und zu drangsalieren – aufgrund ihrer Abstammung, ihres Aussehens, ihrer Herkunft oder ihrer Haltung – oder, wenn sie freie Hand hätten, gleich zu deportieren. Machen Sie sich doch ehrlich, Herr Baumann! Darum geht es hier doch, und darum ging es bei dem Treffen in Potsdam, meine Damen und Herren.

Es ist auch im Buch von Herrn Höcke nachzulesen. Im Kern steht dahinter der Traum von einer gleichgeschalteten Gesellschaft, die alles ausschließt, was nicht in ihre rassistische und freiheitsfeindliche Ideologie passt. Das ist ein menschenverachtender Albtraum, den wir alle gemeinsam verhindern müssen und gemeinsam verhindern werden, meine Damen und Herren. Die sogenannte Neue Rechte sieht vielleicht anders aus und benutzt andere Begriffe. In ihrer Ideologie und in ihren Zielen unterscheidet sie sich aber nicht von den Rechtsextremisten, die so viel Leid über die Welt gebracht haben. Deshalb müssen wir genau hinsehen, welche Kreise hier am Werk sind: von der Identitären Bewegung und dem Spektrum dieser angeblich Neuen Rechten bis weit hinein in die Parteien- und Vereinslandschaften am rechten Rand. Es ist kein Zufall, dass in Potsdam ein bekannter Rechtsextremist seine Ideen auch Vertretern von AfD und WerteUnion vortragen durfte.

Die größte Bedrohung für unsere demokratische Grundordnung ist der Rechtsextremismus; ich habe das an dieser Stelle hier im Plenum schon häufiger gesagt. Und warum? Er ist es deshalb, weil er diese demokratische Grundordnung überwinden will – mit Abgeordneten, die sich in deutschen Parlamenten zu seinem parlamentarischen Arm machen. Dagegen müssen alle Demokratinnen und Demokraten in unserem Land gemeinsam aufstehen und kämpfen!

Wir sehen seit Jahrzehnten aktive Bestrebungen, die Grenzen zwischen „demokratisch rechts“ und „rechtsextrem“ zu verschieben. Demokratieverachtung und Menschenfeindlichkeit in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, darum geht es doch hier. Seit Langem hat der Verfassungsschutz deshalb diese Szene im Blick. Verschiedene Organisationen der sogenannten Neuen Rechten sind als gesichert rechtsextremistisch eingestuft und stehen entsprechend auch unter Beobachtung.

Und das ist richtig und wichtig, wie sich gerade wieder zeigt. Denn wer von „Reconquista“ und „Remigration“ fantasiert, knüpft genau an diese Gedanken an, die den menschenverachtenden Rassengesetzen der Nationalsozialisten, der Wannsee-Konferenz und der Shoa den Weg bereitet haben. Kein Teilnehmer an einem solchen Treffen kann sich mit Unwissenheit dazu rausreden, meine Damen und Herren. Die erklärten Vorbilder sind die Wegbereiter der NS-Ideologie; ihre Vordenker kokettieren mit dem Etikett, Faschisten zu sein. Sie wollen, dass Abstammung und Herkunft entscheiden, wer zu Deutschland gehört und wer nicht. Aber das werden wir nicht zulassen! Das werden wir nicht zulassen, denn diese Demokratie weiß sich zu wehren!

Deshalb – hören Sie jetzt ganz genau zu am rechten Rand dieses Parlamentes, Frau Weidel, Herr Chrupalla, Frau Huy – ist es richtig und notwendig, dass der Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall genau beobachtet. Denn sosehr Sie auch abwiegeln, wenn es um rechtsextreme Vernetzung geht, Herr Baumann: Nichts davon ist harmlos! Nichts davon ist bürgerlich! Und nichts davon dürfen wir dulden, meine Damen und Herren, nichts davon!

Die Feinde der Demokratie setzen auf die Macht von Provokation und Emotionen. Sie spalten und verhetzen. Sie heizen Wut an, und sie streuen Angst. Sie haben das heute hier schon wieder getan. Sie sind nicht auf die Debatte eingegangen, sondern Sie haben schon wieder Wut und Hetze hier von diesem Pult aus losgelassen.

Man merkt ja, dass Sie getroffen sind. Und ich will es noch einmal sagen: Die Freiheit und Offenheit, die unsere Gesellschaft auszeichnet, wenden Sie gegen die Demokratie selbst. Sie nutzen die Meinungsfreiheit, um den öffentlichen Diskurs zu vergiften. Sie wollen die Versammlungsfreiheit nutzen, um mit Ihren antidemokratischen Parolen legitime Proteste zu unterwandern. Sie nutzen den Schutz, den unsere Verfassung Parteien bietet, um gegen das demokratische System und den Parlamentarismus zu agitieren.

Und trotzdem bleibt es richtig, dass unsere Verfassung diese Schutzrechte garantiert. Sie spiegelt Lehren aus der NS-Zeit wider. Doch seien Sie versichert, meine Damen und Herren: Wir nutzen alle Instrumente, die unserer wehrhaften Demokratie zur Verfügung stehen: die Mittel des Strafrechts genauso wie Vereinsverbote, wie wir sie im Fall der „Artgemeinschaft“ und der „Hammerskins“ im letzten Jahr schon ausgesprochen haben. Darauf können Sie sich verlassen! 

Und mehr noch: Wir wollen auch die Finanzströme dieses Milieus trockenlegen. Wir werden auf diesem Feld dort weitermachen, wo wir mit dem Verfassungsschutz begonnen haben. Wir haben die Kapazitäten in diesem Bereich als Koalition ausgebaut und werden dort auch weiter vertieft tätig sein. Wir werden alles nutzen, was uns zur Verfügung steht. Sie sehen: Diese Regierung handelt. Wir zerschlagen rechtsextreme Netzwerke. Wir entwaffnen die rechtsextreme Szene, meine Damen und Herren. Wir entfernen Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst, und dafür haben wir das Disziplinarrecht in diesem Haus erst vor wenigen Monaten verändert. 

Wir bekämpfen rechte Propaganda und Verschwörungstheorien aller Art. Wir werden daran arbeiten, diese Demokratie zu stärken. Wir werden sie gegen Verfassungsfeinde verteidigen, und wir werden die Opfer rechter Gewalt nicht alleinlassen. Die Abgeordnete Haßelmann hat es gesagt: Wir stehen an der Seite all derer, die durch Ihren Hass und Ihre Hetze derzeit unter Bedrohung stehen; Menschen, die sich nicht sicher fühlen und darüber nachdenken, dieses Land zu verlassen. Wir stehen an der Seite all dieser Menschen, die gute Freunde sind – unsere Ärzte, unsere Kolleginnen und Kollegen –, die sich durch nichts unterscheiden. Wir werden sie mit allen Mitteln dieses Rechtsstaates verteidigen. Wir stehen an ihrer Seite, meine Damen und Herren!