Zentrale Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Olympia-Attentats 1972

Typ: Rede , Datum: 05.09.2022

Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    Fürstenfeldbruck

  • Rednerin oder Redner

    Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident Herzog,
sehr geehrter Herr Bundespräsident,
sehr geehrte Angehörige,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Präsident des Bundesverfassungsgerichts,
sehr geehrter Herr Dr. Schuster,
sehr geehrte Herr Dr. Bach,
sehr geehrte Frau Dr. Knobloch,
sehr geehrter Herr Landrat,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Bundes-, Landes- und Kommunalebene sowie des Diplomatischen Corps,
sehr geehrte Damen und Herren,

was werden es für Gefühle gewesen sein, mit denen sich die Delegation des Staates Israel im Jahr 1972 auf die Reise nach Deutschland gemacht hat? Eine Reise in das Land der Täter. Keine 30 Jahre nach dem Ende des Krieges, keine 30 Jahre nach dem Holocaust.

Nun eine Reise nach Deutschland. Als Menschen, denen das Herz für den Sport schlägt, die sich jahrelang vorbereitet haben, die sich in Frieden mit anderen Nationen messen wollen. Ich versuche mir vorzustellen, mit welcher Mischung aus Trauer, Gedenken, Anspannung und Vorfreude sie in unser Land gereist sind.

Olympische Spiele wollen Weltveranstaltungen für das friedliche Miteinander der Völker sein. Hier geht es um fairen Wettkampf, um "höher, schneller, weiter" ohne Ansehen der Person, ihrer Herkunft, ihrer Geschichte.

Wir sprechen vom "Olympischen Frieden". Mit seinem Ziel, dass alle Athleten, Künstler und Familien in Sicherheit anreisen, die Wettkämpfe miterleben und ebenso sicher wieder abreisen konnten. Dieser Olympische Frieden wurde von palästinensischen Terroristen jäh zerstört und seitdem liegt darüber ein dunkler Schatten.

Bis zu diesem Tag wollten wir als gute Gastgeber unseren Beitrag leisten, die Welt bei uns willkommen zu heißen. Wie wichtig war es, dass die Mannschaft aus Israel der Einladung gefolgt war, dass wir sie bei uns begrüßen durften.

Unser Land stand aber nicht nur in der Pflicht, sie zu begrüßen, wir standen auch in der Pflicht, sie zu schützen. An dieser Verantwortung sind wir auf schreckliche Weise gescheitert.

Wir haben der israelischen Mannschaft im Olympischen Dorf nicht im Ansatz den Schutz gegeben, der notwendig und angemessen gewesen wäre. Und wir hatten damals weder die richtigen, noch ausgebildeten Kräfte, sie aus den Händen der Geiselnehmer zu befreien.

Der Bundespräsident hat in seiner Rede von "Staatsversagen“ gesprochen. Als Bundesministerin des Innern nehme ich diese Worte sehr ernst.

Nun muss umfassend geklärt werden, was zu klären ist. Die vollständige Aufarbeitung dieses Anschlages und Deutschlands Rolle darin zu fordern, ist nicht nur das unabdingbare Recht der Angehörigen und Betroffenen. Es ist die Pflicht der Bundesrepublik Deutschland, dies zu tun. Es ist beschämend, dass diese Aufarbeitung noch nicht erfolgt ist.

Mir ist es deswegen ganz besonders wichtig, eine unabhängige Kommission aus deutschen und israelischen Historikerinnen und Historikern einzusetzen und mit der weiteren Aufarbeitung zu beauftragen. Die seit Jahrzehnten berechtigte Kritik der Opferfamilien und der Wissenschaft muss endlich Konsequenzen haben.

Ich will gerade als Innenministerin hier in Fürstenfeldbruck daran erinnern, dass dieses Attentat zum traurigen Anlass wurde, unser System der inneren Sicherheit grundlegend neu aufzustellen. Wir haben eine Spezialeinheit GSG 9 der Grenzschutztruppe gegründet, die es bis heute bei der Bundespolizei gibt und die national wie international höchstes Ansehen genießt. Auch alle Bundesländer stellten danach Spezialeinsatzkommandos auf, um in der Fläche präsent zu sein.

Und mehr noch: Die deutschen und israelischen Spezialeinheiten GSG 9 und JAMAM haben inzwischen ein über Jahrzehnte aufgebautes, sehr enges Verhältnis zueinander. Wir lernen gemeinsam und tauschen uns auf vielen Ebenen aus. Was für ein Geschenk nach diesen schrecklichen Ereignissen!

Dass Sie, Präsident Herzog, und Sie, die Angehörigen der Ermordeten, heute hier sind, erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Wir können einen neuen Anfang wagen. Im Gedenken an jeden einzelnen ihrer Männer, Väter, Großväter und Familienmitglieder, die ihr Leben lassen mussten. Und in Verantwortung für eine Welt, in der dem Terror überall und in jeder Form entgegengetreten werden muss. Ganz Israel und Sie, die heute zu uns gekommen sind, kennen die tägliche Gefahr. Wer ihr begegnen will, der braucht Kraft, Entschlossenheit und Stärke. Die bekommen wir nur, wenn wir zusammenstehen. Wenn wir möglichst genau wissen, wer und was uns bedroht.

Reden und Erinnern ist gut und notwendig. Konsequentes Handeln gehört aber auch dazu. Die deutsch-israelische Sicherheitskooperation ist eng und von großem Vertrauen getragen. Davon konnte ich mich vor einigen Monaten selbst überzeugen, als ich in Israel zu Gast sein durfte. Wir haben viele gemeinsame Projekte und es werden viele dazukommen. Dafür bin ich sehr dankbar und werde all meine Kraft dafür einsetzen.

Der 5. September 1972 steht auch für unsere Pflicht, die Jüdinnen und Juden in diesem Land wirksam zu schützen. Jeder Angriff ist zuviel und trifft unsere Gesellschaft bis ins Mark. Wir können und werden den Antisemitismus in Worten oder Taten niemals zulassen und werden ihm weiter in aller Entschiedenheit entgegentreten. Dazu gehört das Erinnern und das Aufklären, dazu gehört die Kraft eines Staates, der seine Schuld und seine Fehler der Vergangenheit bekennt. Dazu gehört das Handeln für die Zukunft.

Mein Respekt und mein Dank gilt allen Vertretern und Angehörigen aus Israel, die heute mit uns zusammen gedenken. Sie sind es die ein Zeichen der Mahnung und Freundschaft setzen:

Unsere deutsche Verantwortung endet nie. Dieses Gedenken ist ein Teil davon und soll uns gemeinsam den Weg in eine Zukunft lenken, in der wir ein starkes Zeichen gegen Gewalt und Terror setzen – und ein Zeichen von Respekt und Freundschaft in einer Welt, die den Frieden nötiger braucht, denn je.