Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz zum Thema "Bedrohung der Inneren Sicherheit Deutschlands - von Delegitimierung bis Desinformation"

Typ: Rede , Datum: 19.05.2022

Rede der Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

  • Ort

    dbb forum berlin, Friedrichstraße 169/170, 10117 Berlin

  • Rednerin oder Redner

    Bundesministerin des Innern und für Heimat Nancy Faeser

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident Haldenwang,
sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst freue ich mich sehr, dass zumindest eine Krise unserer Zeit soweit im Griff ist, dass das Symposium des Bundesamtes für Verfassungsschutz heute in gewohnter Form stattfinden kann. Genauso freue ich mich, heute bei Ihnen zu sein – möchte zunächst die Gelegenheit nutzen, mich für die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zu bedanken!

Als das Thema für dieses Symposium gewählt wurde, ahnten sicherlich nicht alle, welch hohe Brisanz es am heutigen Tage für uns hat.

Wir befinden uns in einer der fragilsten weltpolitischen Situationen seit Jahrzehnten. Worte wie „Zeitenwende“ oder sogar „Epochenbruch“ sind als Beschreibung für den Krieg in der Ukraine absolut berechtigt.

Der brutale und verbrecherische Angriffskrieg Putins gegen die Ukraine hat uns vor Augen geführt: Wir müssen mehr für unsere Sicherheit tun, um unsere freiheitliche Demokratie zu bewahren. Und das gilt nicht nur für militärische Maßnahmen. Auch bei der Cyberabwehr, im Zivil- und Katastrophenschutz und beim Schutz Kritischer Infrastrukturen müssen wir größere Anstrengungen unternehmen. Denn innere und äußere Sicherheit gehören zusammen, meine Damen und Herren!

Bei diesen Anstrengungen zum Schutz unserer Demokratie ist das Bundesamt für Verfassungsschutz eine ganz wesentliche Säule unserer Sicherheitsarchitektur. Der Verfassungsschutz wichtiger denn je.

Denn die Bedrohung unserer Sicherheit durch den neuen Krieg in Europa ist real. Das gilt für Spionageaktivitäten und Cyberangriffe. Es gilt aber auch und gerade für Einflusskampagnen fremder Mächte, die durch Propaganda, Lügen und gezielte Desinformation unsere Demokratie destabilisieren sollen.

Meine Damen und Herren,

in einer Zeit großer Veränderungen, Verunsicherungen und Gefahren sind objektive Informationen über die Lage von unschätzbarer Bedeutung –für politische Entscheiderinnen und Entscheider und auch für jede Bürgerin und jeden Bürger.

Objektive Informationen von gezielten Falschinformationen zu unterscheiden, ist oft gar nicht so einfach: Mal werden Dinge völlig frei erfunden. Mal werden sie aber auch absichtlich aus dem Zusammenhang gerissen, zugespitzt oder wesentliche Informationen weggelassen. Oft werden Minderheitenmeinungen als Mehrheit dargestellt. Reichweiten einzelner Beiträge werden manipuliert. Und nicht immer handelt es sich dabei um Texte: Auch Bilder oder Videos können immer leichter manipuliert werden, als sogenannte Deep Fakes.

Von Desinformation geht eine Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie aus. Weil sie uns als Gesellschaft spalten soll. Weil sie Schaden anrichten soll. Weil sie das Ziel verfolgt, bestehende gesellschaftliche Konflikte und Debatten zu verschärfen. Das Ziel, das Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben. Und das Ziel, Wut und Hass zu schüren.

Wenn fremde Staaten Desinformations-kampagnen nutzen, um aggressive Interessenpolitik unterhalb der militärischen Schwelle zu betreiben, dann sprechen wir von hybriden Bedrohungen. Denn Desinformation als staatliches Instrument ist ressourcenstark und so besonders wirkmächtig.

Die Corona-Pandemie war für uns ein Lehrstück staatlicher Desinformation: Seit mehr als zwei Jahren verbreiten vor allem Russland und China Desinformation und Propaganda in Deutschland.

Eine neue Dimension haben wir in Deutschland seit dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erreicht. „Das erste Opfer eines jeden Krieges ist die Wahrheit“, heißt es nicht umsonst oft.

Dabei haben sich Putin und seine Regierung von Anfang an bemüht, ihren völkerrechtswidrigen Angriffskrieg durch Unwahrheiten zu rechtfertigen. Zum Beispiel wurde verbreitet, dass die Ukraine im Donbas einen Genozid verüben würde. Oder, dass die Ukraine geplant hätte, Russland anzugreifen. Auch sprachliche Irreführungen, wie der Euphemismus, es handele sich nur um eine „begrenzte russische Spezialoperation“, gehören dazu.

Putins Regime will außerdem das Narrativ einer angeblichen „Russophobie“ des Westens zu verfestigen. Damit soll auch die russischsprachige Bevölkerung in Deutschland beeinflusst werden.

Russland hat zur Verbreitung von Desinformation vor allem seine staatlichen Medien wie Russia Today und Sputnik genutzt. Die EU hat deshalb kurz nach Beginn des Krieges Sanktionen gegen diese Medienhäuser verhängt. Wir haben so dafür gesorgt, dass die Reichweite russischer staatsnaher Medien nun deutlich eingeschränkt ist.

Seither werden pro-russische Desinformation und Propaganda verstärkt über Accounts in sozialen Medien, unter anderem mit Kreml-nahe Twitter-Accounts, verbreitet. Außerdem wird versucht, die Nutzerinnen und Nutzer auf alternative Plattformen wie zum Beispiel Telegram umzuleiten.

Mittlerweile beteiligen sich auch russische Diplomaten daran, die aktuellen Entwicklungen um den Krieg in der Ukraine zu kommentieren. Die Vertretungen der Russischen Föderation verbreiten die offizielle russische Sicht teilweise sehr aggressiv.

Das beobachten wir auch bei der russischen Botschaft in Berlin. Hier wurde ein „SOS“-E-Mail-Postfach zur Meldung von Fällen von „Mobbing, Belästigung, Drohungen, Angriffen oder physischer Gewalt“ gegen russische Staatsangehörige eingerichtet. Die auf der Webseite der russischen Botschaft geschilderten angeblichen Fälle sind nicht nachprüfbar.

Es ist mir sehr wichtig zu betonen, dass wir demgegenüber nicht machtlos sind, meine Damen und Herren.

Auch wenn die Bekämpfung von Desinformation im digitalen Zeitalter komplexer geworden ist als in Zeiten, in denen es nur Flugblätter, Printzeitungen und Fernsehen gab, können wir als wehrhafte Demokratie wirksame Antworten geben. Unsere Handlungsmöglichkeiten setzen dabei auf vier unterschiedlichen Ebenen an:

Wir können dazu beitragen, dass Desinformation gar nicht erst Verbreitung findet. Das tun wir, indem wir Kanäle identifizieren, die ganz überwiegend zur Verbreitung von Desinformationen genutzt werden und sie daran hindern, das zu tun.

Und das ist im Zusammenhang mit Desinformation auch absolut gerechtfertigt. Die Sanktionierung von Russia Today durch die EU war richtig. Denn hier ging es nicht um die Äußerung von Meinungen. Hier wurde staatlich gesteuert russische Kriegspropaganda ausgestrahlt. Das müssen wir als wehrhafte Demokratien in Europa nicht hinnehmen, meine Damen und Herren.

Wenn Falschinformationen erst einmal auf dem Markt sind, können wir dafür sorgen, dass sie gelöscht werden, damit sie sich nicht weiterverbreiten.

Dafür stehen wir im intensiven Austausch mit den Plattformbetreibern sozialer Netzwerke wie Google, Facebook und Twitter – um sie stärker für staatlich gesteuerte Desinformation zu sensibilisieren, aber auch um schnell reagieren zu können, wenn Desinformation auftaucht.

Wir können außerdem mit Faktenchecks und Debunking dafür sorgen, dass den Falschinformationen richtige Informationen aus seriösen Quellen entgegengesetzt werden.

Mein Haus hat deshalb direkt nach Kriegsbeginn eine ressort- und behördenübergreifende Task-Force aufgebaut, die russische Falschinformationen identifiziert und dafür sorgt, dass sie so schnell wie möglich widerlegt werden. Zusätzlich betreiben wir eine umfassende Aufklärung zu Desinformation einschließlich der Verlinkung zu Faktenchecks auf den Webseiten meines Hauses wie auch des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung.

In konkreten Einzelfällen kommt außerdem das sogenannte Debunking zum Einsatz, also die aktive Richtigstellung von Falschinformationen. Das passiert in der jeweiligen Ressortzuständigkeit, wobei das BMI für eine enge Abstimmung der betroffenen Ressorts sorgt.

Was aber bei der Bekämpfung von Desinformation ganz entscheidend ist: Jeden Tag aufs Neue hart daran zu arbeiten, dass sie nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Wir müssen die Resilienz in der Bevölkerung gegen Desinformation stärken.

Unser Gegengift heißt Aufklärung!

Schon Kindern müssen wir Medienkompetenz vermitteln: Traut nie nur einer Quelle, gebt Euch nicht mit einfachen Antworten zufrieden. Um die Förderung der Medien- und Nachrichtenkompetenz geht es aber ausdrücklich auch bei älteren Menschen.

Dabei nehmen wir vor allem die Gruppen in den Blick, die besonderes Ziel von Desinformation sind: zum Beispiel russischstämmige und russischsprachige Bevölkerungsteile, die wir auch in russischer Sprache erreichen wollen.

Meine Damen und Herren,

das Ziel all dieser Anstrengungen auf unterschiedlichen Ebenen ist die Erkennung und Abwehr hybrider Bedrohungen. Um hier auch international voranzukommen, stehen wir in einem ständigen Austausch mit unseren Partnern in der EU, im Kreis der G7 und der NATO. Denn Desinformation ist eine Herausforderung, die alle demokratischen Gesellschaften betrifft und der man wirksamer gemeinsam entgegentritt.

Daher unterstützen wir auch das gemeinsame Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten gegen Desinformation. Die EU hat erst kürzlich einen Rechtsakt über digitale Dienste beschlossen, der soziale Netzwerke zu mehr Transparenz verpflichtet.

Auch die deutsche G7-Präsidentschaft in diesem Jahr werden wir dafür nutzen, die Bekämpfung von Desinformation in den Fokus dieser starken Demokratien zu rücken.

Doch ebenso wie wir das Thema von der nationalen auf die internationale Ebene heben, müssen wir unseren Blick innerhalb Deutschlands auch auf die Ebene der Länder und Kommunen richten.

Deshalb hat mein Haus die Initiative für einen „Gemeinsamen Aktionsplan des Bundes und der Länder gegen Desinformation“ ergriffen. Denn das gemeinsame Handeln von Bund, Ländern und Kommunen kann die Maßnahmen auf EU- und Bundesebene ergänzen und so unsere gesellschaftliche Widerstandsfähigkeit erhöhen.

Meine Damen und Herren,

bei allen Anstrengungen müssen wir aber auch deren Grenzen akzeptieren. Genauso, wie es immer Informationen geben wird, wird es auch immer Versuche geben, mit falschen Informationen zu manipulieren. Man kann Desinformation nicht „wegregulieren“.

Aber niemand sollte sich von ihnen lähmen oder einschüchtern lassen. Wir müssen jeden Tag daran arbeiten, als Gesellschaft widerstandsfähiger zu werden – genauso, wie wir jeden Tag für unsere offene und freiheitliche Demokratie einstehen müssen. Für die Wahrheit zu kämpfen, ist anstrengend. Aber es lohnt sich.

Der Kampf gegen Desinformation ist eine zentrale Herausforderung zum Schutz unserer Verfassung – deshalb dürfen wir diesen Schutz nicht nur als behördliche Aufgabe des Bundesamtes verstehen. Verfassungsschutz ist eine umfassende Aufgabe von Staat und Gesellschaft.
Desinformation fällt besonders in den Bereichen unserer Gesellschaft auf fruchtbaren Boden, wo Ressentiments und Verschwörungsmythen ohnehin weit verbreitet sind. Auch diese für unsere Demokratie mindestens ebenso problematischen Phänomene werden heute auf diesem Symposium als große Herausforderungen unserer Gesellschaft ausgeleuchtet werden.

Meine Damen und Herren,

ich wünsche Ihnen eine ertragreiche Veranstaltung mit vielen anregenden Vorträgen und fruchtbaren Diskussionen. Vor allem aber mit vielen Impulsen für unsere weitere gemeinsame Arbeit!