"Das Innenministerium ist das Digitalministerium"

Typ: Interview , Datum: 14.07.2020

Der Bundesbeauftragte für Informationstechnik über seinen neuen Job und die Perspektiven für die Verwaltung

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Herr Richter, eine Ihrer Aufgaben ist es, die Verwaltung zu digitalisieren. Sie traten ihr Amt vor zwei Monaten mitten in der Coronakrise an. Ein guter oder ein schlechter Zeitpunkt für dieses Vorhaben?

Ich glaube, dass die Coronasituation die Dringlichkeit der Digitalisierung der Verwaltung allen noch einmal sehr stark vor Augen geführt hat. Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Letztendlich geht es darum, Menschen zu helfen. Dieser Aspekt wurde durch die Krise unterstrichen – sogar in verschärfter Form, da es teilweise auch um die Gesundheit von Menschen ging.

Als Bundes-CIO sind Sie für jeden Arbeitsplatz in der Bundesverwaltung zuständig und verwalten Milliardenprojekte – trotzdem wird das Amt öffentlich nicht stark wahrgenommen. Warum? Fehlt es an der politischen Übersetzungsarbeit?

Meine Aufgabe ist es, das Leben von Menschen und Unternehmen leichter zu machen. Ich will Dinge weiterentwickeln. Das ist eine sehr handwerkliche Arbeit, die oft in Gremien, in Gesprächen, in Projekten und Programmen stattfindet. Das ist von außen nicht immer wahrzunehmen, weil die Themen oft komplex und sperrig sind. Für mich ist es in Ordnung, dass meine Arbeit im Maschinenraum passiert. Aufgabe der Politik ist es, die Übersetzung zu fahren.

Kommt das Thema Digitalisierung in der Spitzenpolitik bislang noch immer zu kurz?

Das Thema ist in der Öffentlichkeit angekommen. Nicht umsonst hat die Bundesregierung gerade ein Konjunkturpaket verabschiedet, das die Digitalisierung der Verwaltung in den Mittelpunkt stellt. Es muss uns gelingen, den Sinn und Zweck der Digitalisierung noch stärker zu betonen. Ich habe ein klares Bild vor Augen: Es geht darum, Menschen in jeder Lebenslage zur Teilhabe zu befähigen.

Ein Beispiel?

In der analogen Welt weisen wir uns in der Regel mit dem Personalausweis aus, wenn wir etwa eine Immobilie oder ein Auto kaufen. Es ist wichtig, ein Gegenstück für den virtuellen Raum zu schaffen. Darüber schaffen wir Teilhabe. Das haben wir während der Coronakrise gesehen, wenn Menschen von einem Tag auf den anderen plötzlich keine Behördengänge mehr erledigen können.

Den elektronischen Personalausweis gibt es bereits, warum wird er nicht genutzt?

Wir werden den elektronischen Personalausweis in der Anwendung verbessern. Zum Beispiel, indem man ihn im Handy ablegen kann und die Karte gar nicht mehr bei sich haben muss. Zudem werden wir die Wirtschaft stärker miteinbeziehen. Denn eine elektronische Identität gelingt nur, wenn wir viele Einsatzfelder haben. Wenn der elektronische Personalausweis in der Wirtschaft akzeptiert wird, steigt auch die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern.

Große Tech-Konzerne wie Apple haben ebenfalls großes Interesse daran, solche digitalen Identitäten auf den Markt zu bringen. Eine Gefahr?

Dass es private Anbieter geben wird, ist völlig legitim. Es ist aber eine der ureigensten Aufgaben des Staates für Identitäten zu sorgen – in der analogen wie in der digitalen Welt. Auch weil der Staat keine Gewinnabsichten dabei verfolgt. Wenn wir das völlig den Privaten überlassen, verlieren wir den Zugang. Nicht nur in der Verwaltung, sondern auch im Rechtsverkehr. Ich denke da etwa an das Notariatswesen und andere Bereiche. Da müssen wir als Staat eine Infrastruktur für die digitale Welt zur Verfügung stellen.

Das Onlinezugangsgesetz (OZG) soll bis Ende 2022 alle Verwaltungsleistungen digitalisieren. Dieses Ziel wird wohl nicht erreicht. Hätte man sich auf die meistgenutzten Leistungen konzentrieren sollen?

Wir fühlen uns mit den Bundesländern an diesen Zeitplan gebunden. Mit dem Konjunkturpaket werden wir für Beschleunigung sorgen. Es ist unglaublich viel passiert in den letzten Wochen. Zum Beispiel, dass die Bundesagentur für Arbeit das Arbeitslosengeld II nun digital zur Verfügung stellt. Ziele vorzeitig aufzugeben, beschleunigt die Sache nicht. Wir werden in diesem Prozess die Prioritäten so setzen, dass wir mit unseren digitalen Leistungen möglichst viele Menschen möglichst schnell erreichen.

Für die Umsetzung des OZG sollen drei Milliarden Euro aus dem Konjunkturpaket an die Kommunen fließen. Wie sollen diese Gelder verteilt werden?

Das sind Bundesmittel, wir müssen also ein Bundesinteresse für die Verausgabung begründen. Es geht um Verwaltungsleistungen, die in der Kompetenz des Bundes liegen, aber von Ländern und Kommunen angeboten werden. Wir werden daher mit allen Bundesländern in Verwaltungsvereinbarungen gehen, die die Möglichkeit eröffnen, dass der Bund deren IT-Dienstleister beauftragen kann, um diese Leistungen zu digitalisieren. Nach der Sommerpause werden wir dazu eine Sondersitzung des IT-Planungsrates abhalten. Ich möchte, dass wir möglichst eng zusammenarbeiten. Wenn in einem Land entwickelte Leistungen in anderen Ländern nicht genutzt werden, digitalisieren wir im Zweifel dieselbe Leistung 16 Mal. Dafür kann ich keine Bundesmittel einsetzen. Das Prinzip „Einer für alle“ darf keine Plattitüde bleiben.

Gerhard Schröder sagte schon Anfang der 2000er: Die Daten sollen laufen, nicht die Bürger. Bei der Digitalisierung der Verwaltung liegt man immer noch im hinteren Drittel in Europa. Was ging schief?

Die Verwaltung ist besser als ihr Ruf, das sieht man vor allem in Krisenzeiten. Da werden Kräfte geweckt, die beispielgebend für andere Länder sind. Natürlich müssen wir im Bereich der Digitalisierung mehr tun. Gleichzeitig darf man aber nicht verkennen, was in der Zwischenzeit schon entstanden ist. Wir haben etwa kürzlich ein Gesetz beschlossen, das die Digitalisierung sämtlicher Leistungen im Familienumfeld ermöglicht. Das ist ein Meilenstein und trotzdem nimmt es kaum jemand zur Kenntnis. Wir müssen solche Beispiele noch stärker in den Vordergrund stellen, und zugleich deutlich machen, dass wir große Bedarfe haben.

Ein solcher Bedarf besteht bei der nicht vernetzten Registerlandschaft. Der Datenschutz scheint dabei eine große Herausforderung darzustellen. Was ist die Lösung?

Bürgerinnen und Bürger sollen nicht mehr jedes Mal all ihre Daten neu angeben müssen, wenn sie eine Leistung beantragen. Wir müssen eine nach Datenschutzaspekten gesicherte Architektur schaffen, die es der Verwaltung ermöglicht, behördenübergreifend bereits vorhandene Daten zu nutzen. Das funktioniert, indem wir zwischen der Behörde, die Daten abrufen will, und der Behörde, die Daten zur Verfügung stellt, eine neutrale Instanz schalten. Die soll über ein Registerverzeichnis wissen, wer welche Daten abrufen darf. Aus meiner Sicht wäre es vorstellbar, dass das Bundesverwaltungsamt diese Rolle einnimmt.

Bei nahezu allen Digitalprojekten der Bundesregierung sind Berater aktiv, das kostet Hunderte Millionen Euro. Sie selbst haben im BMI gerade einen Vertrag gestoppt. Was soll der Staat können und wo braucht er Hilfe?

Beratung brauchen wir in drei Bereichen. Dort wo es zeitkritisch ist, dort wo die Komplexität sehr hoch ist und dort wo es extreme Ressourcenengpässe gibt. Kritisch betrachte ich allerdings, wenn Beratung zum Dauereinsatz wird. Linienarbeit der Verwaltung darf nicht durch Beratungsarbeit abgelöst werden. Mir geht es darum, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes zu befähigen, Dinge selbst zu erledigen. Deshalb verfolge ich auch die Idee einer Digitalakademie für die Verwaltung.

Eine andere große Debatte ist das Thema digitale Souveränität. Ihr Vorgänger Klaus Vitt vertrat die Meinung, dass Verwaltungsdaten nicht in einer Microsoft-Cloud gespeichert werden dürfen. Wie sehen Sie das?

Die Frage ist, wie wir etwa durch Open Source dafür sorgen können, dass der IT-Standort Deutschland gestärkt wird. Wir werden auch mit Microsoft, Google und allen anderen Anbietern Gespräche führen. Heutzutage gibt es auch Architekturen, wo verschiedene Anbieter zusammenkommen und man zusätzlich Open Source integriert. In diese Richtung arbeite ich aktuell. Wir haben dringenden Bedarf in der Verwaltung, dass wir das Cloud Computing für uns nutzbar machen.

Was heißt das konkret?

Wir haben die hochgesicherte Bundescloud. Dann arbeiten wir an einer föderalen Cloud für die Verwaltung, die wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen nutzen können. Und genauso legitim ist es, dass wir mit Privaten an einer Cloud arbeiten. Sodass wir im öffentlichen Sektor viele Optionen haben, die wir je nach Anwendungsfall nutzen können. Das ist meine Strategie. Wir haben dazu im BMI auch ein zentrales Referat „Digitale Souveränität“ geschaffen.

Ist Gaia-X auch eine Option für die Verwaltung?

Gaia-X verfolgt ja gerade die Idee, dass man für unterschiedliche Bedarfe unterschiedliche Clouddienste nutzen kann. Deswegen ist es mir wichtig, dass wir als Bundesregierung weiter involviert sind und das Projekt auch für die Verwaltung zugänglich machen. Wir stimmen uns dazu mit dem Bundeswirtschaftsministerium ab, das hier federführend ist.

Wären eigentlich all diese Diskussionen einfacher, gäbe es ein Digitalministerium?

Das Innenministerium ist das Digitalministerium. Entscheidend ist, dass die Aufgaben erledigt werden. Ich erlebe es als großen Vorteil, dass hier im Innenministerium Themen wie das Verwaltungs- und Dienstrecht oder auch die Sicherheit verortet sind. All das sind Querschnittsthemen, die mit Digitalisierung viel zu tun haben. Natürlich muss jedes Ressort die Dinge in seinem jeweiligen Bereich umsetzen. Aber es gibt auch Dinge, die man vor die Klammer ziehen muss – wie zum Beispiel das Cloud Computing. Das Innenministerium hat die Kraft, die Digitalisierung in der gesamten Bundesregierung voranzutreiben.

Das Interview erschien zuerst bei Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI. Das Gespräch führte Matthias Punz.