Fakten zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)
Typ:
Artikel
, Schwerpunktthema:
Migration
Worum geht es?
- Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben sich nach Jahren der Blockade auf eine Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems verständigt. Das ist ein nie zuvor erreichter Kompromiss, der zeigt, dass Europa gemeinsam handlungsfähig ist, wenn der Wille dazu da ist.
- Es ging bei den Verhandlungen um nicht weniger als um die Überwindung der tiefen Spaltung Europas und die Zukunft des Schengen-Raums. Für die Bundesregierung war klar: Wir wollen das Europa der offenen Grenzen retten. Dafür müssen die EU-Außengrenzen verlässlich kontrolliert werden. Gleichzeitig müssen klare und rechtssichere Verfahren unter Wahrung der Menschenrechte sichergestellt sein, ohne am Grundrecht auf Asyl und der individuellen Prüfung zu rütteln.
- Künftig soll deshalb über einen Teil der Schutzgesuche bereits an den EU-Außengrenzen entschieden werden. Darüber hinaus wurde ein verbindlicher Mechanismus der Solidarität, der auch die Verteilung von Schutzsuchenden umfasst, vereinbart.
Behauptung: "Mit der Einigung wird das Recht auf Asyl eingeschränkt."
Richtig ist:
Das Recht auf Asyl wird durch die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems nicht eingeschränkt. Menschen, die in der EU ankommen, haben in jedem Fall die Möglichkeit, Asyl zu beantragen. Ihre Asylanträge werden geprüft und Menschenrechte müssen eingehalten werden.
Behauptung: "Rechtsstaatliche Verfahren an den EU-Außengrenzen durchzuführen, ist nicht möglich."
Richtig ist:
Auch in Außengrenzverfahren werden Asylanträge nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geprüft. Es geht darum, Schutzsuchende, deren Anträge voraussichtlich keinen Erfolg haben können, frühzeitig zu identifizieren und schnell über ihre Gesuche zu entscheiden. Alle Schutzsuchenden können bei Ablehnung ihres Antrags Klage erheben. Zudem kann im Außengrenzverfahren ein Antrag auf aufschiebende Wirkung der Klage gestellt werden. Bis zum Abschluss der gerichtlichen Prüfung dieses Antrags werden Schutzsuchende nicht zurückgeführt. Damit ist in jedem Fall gewährleistet, dass keine Rückführung ohne eine richterliche Kontrolle stattfindet.
Behauptung: "Die Situation in den Ländern, in denen die Grenzverfahren durchgeführt werden, ist schlechter als in der EU. Eine menschenwürdige Unterbringung kann dort nicht sichergestellt werden."
Richtig ist:
Die Grenzverfahren nach der Asylverfahrens-Verordnung werden an den Außengrenzen ausschließlich von EU-Mitgliedstaaten auf deren Hoheitsgebiet und nicht in Drittstaaten durchgeführt. In diesen Asylverfahren gelten zukünftig die Anforderungen der weiterentwickelten Aufnahme-Richtlinie, an die sich alle Mitgliedstaaten halten müssen. Zum Beispiel müssen materielle Leistungen einen angemessenen Lebensstandard ermöglichen, die medizinische Grundversorgung muss gewährleistet und Zugang zu Bildung möglich sein. Ob diese Standards in den Mitgliedstaaten eingehalten werden, überwachen die nationalen Gerichte und letztlich der Europäische Gerichtshof sowie die Europäische Kommission.
Behauptung: "Es wird Masseninternierungen an den EU-Außengrenzen mit unhaltbaren menschenrechtswidrigen Zuständen geben."
Richtig ist:
Grenzverfahren, die von den Mitgliedstaaten verpflichtend durchgeführt werden müssen, dürfen nur für bestimmte Personengruppen angewendet werden. Dies sind Personen, die eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung darstellen, Personen, die die Behörden getäuscht haben, oder Personen aus Herkunftsstaaten, bei denen in Bezug auf deren Asylantrag eine EU-weite Schutzquote von 20% oder weniger vorliegt. Die zahlenmäßigen Kapazitäten für die Grenzverfahren sind beschränkt und es ist eine Kappungsgrenze vorgesehen. So wird einer Überfüllung vorgebeugt. Das Grenzverfahren ist außerdem zeitlich begrenzt, was einer Überlastung ebenfalls entgegenwirkt.
Eine Unterbringung unter menschenwürdigen Bedingungen muss immer gewährleistet sein. Besondere Bedarfe verletzlicher Personen müssen berücksichtigt werden. Wenn diese Bedarfe nicht berücksichtigt werden können, müssen die entsprechenden Personen aus den Grenzverfahren herausgenommen werden. Dies wird z.B. ältere Menschen, Schwangere oder Menschen mit Behinderungen betreffen.
Das Außengrenzverfahren und das damit einhergehende Prinzip der Nichteinreise kann nicht mit Haft gleichgesetzt werden. Haft bedeutet Freiheitsentziehung, d.h. das Verbot einen Ort zu verlassen. Im Rahmen des Außengrenzverfahrens wird allein die Einreise in die Europäische Union verhindert. Die Ausreise in Drittstaaten bleibt weiterhin möglich.
Behauptung: "Insbesondere die Inhaftierung von Kindern in Grenzverfahren wird ermöglicht. Das stellt die UN-Kinderrechtskonvention in Frage."
Richtig ist:
Die Unterbringung im Grenzverfahren ist nicht mit Haft gleichzusetzen. Haft bedeutet Freiheitsentziehung. Bei Durchführung von Grenzverfahren wird dagegen für einen befristeten Zeitraum eine Freiheitsbeschränkung vorgenommen, d.h. die betreffenden Personen dürfen (noch) nicht in die EU einreisen, aber die Ausreise in Drittstaaten bleibt möglich.
Das Kindeswohl steht einer vorübergehenden Freiheitsbeschränkung zur Prüfung des internationalen Schutzes nicht entgegen. Dabei gelten die Mindeststandards der weiterentwickelten Aufnahme-Richtlinie, zum Beispiel der Zugang zu Bildung und zu Sprachkursen, der Schutz des Familienlebens sowie die sichere Unterbringung für Antragstellerinnen und ihre Kinder. Menschen mit besonderen Verfahrens- oder Unterbringungsbedürfnissen müssen aus dem Grenzverfahren herausgenommen werden, wenn die notwendige Unterstützung nicht gewährleistet werden kann.
Haft ist nur unter den engen Bedingungen der Aufnahme-Richtlinie, die bereits mit dem Europäischen Parlament geeint ist, mit Garantien für Inhaftierte möglich (z.B. zur Feststellung der Identität oder der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person). Minderjährige werden grundsätzlich nicht in Haft genommen. Die UN-Kinderrechtskonvention wird also nicht in Frage gestellt, da deren Anforderungen gerade erfüllt werden.
Behauptung: "Vom Grenzverfahren sind keine generellen Ausnahmen für vulnerable Gruppen vorgesehen."
Richtig ist:
Unbegleitete Minderjährige sind vom Grenzverfahren ausgenommen, sofern sie keine Sicherheitsgefahr darstellen. Personen mit speziellen Verfahrens- oder Unterbringungsbedürfnissen werden aus dem Grenzverfahren herausgenommen, wenn diese Bedürfnisse im Grenzverfahren nicht berücksichtigt werden können. Dies kann zum Beispiel bei Schwangeren, Minderjährigen oder Menschen mit Behinderungen der Fall sein. Auch zwingende medizinische Gründe können zu einer Nichtanwendung des Grenzverfahrens führen.
Behauptung: "Auch bei Menschen aus Syrien und Afghanistan kann das Grenzverfahren angewandt werden, wenn sie einen sicheren Drittstaat durchreist haben."
Richtig ist:
Das verpflichtende Grenzverfahren wird ausschließlich angewandt, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung besteht, wenn die Behörden getäuscht wurden oder bei Antragstellern, die aus Ländern mit einer EU-weiten Schutzquote von 20% oder weniger kommen. Der bloße Umstand der Einreise aus einem sicheren Drittstaat gehört nicht dazu.
Die Bundesregierung hat sich zudem erfolgreich dafür eingesetzt, dass es zwischen dem Antragsteller und dem sicheren Drittstaat eine Verbindung geben muss, die es ihm zumutbar macht, sich in diesen Staat zu begeben. Eine solche Verbindung kann zum Beispiel sein, dass sich in dem Staat Familienmitglieder aufhalten oder dass sich der Antragsteller dort niedergelassen hat.
Behauptung: "Grenzverfahren können auch in Deutschland Realität werden, wenn Schutzsuchende unregistriert einreisen."
Richtig ist:
Das Grenzverfahren findet an den EU-Außengrenzen statt. In Deutschland betrifft das insbesondere die Transitbereiche an den Flughäfen. Das verpflichtende Grenzverfahren wird zudem ausschließlich dann angewandt, wenn eine Gefahr für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung besteht, bei Täuschung der Behörden, oder wenn die Antragsteller aus Ländern mit einer EU-weiten Schutzquote von 20% oder weniger kommen. Allein die fehlende Registrierung führt nicht dazu, dass ein Grenzverfahren durchgeführt wird.
Behauptung: "Es wird nun deutlich einfacher, Staaten mit schlechter Menschenrechtssituation als sichere Drittstaaten einzustufen."
Richtig ist:
Um als sicherer Drittstaat eingestuft zu werden, muss ein Staat die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ratifiziert haben oder grundlegende Standards des Flüchtlingsrechts garantieren, wie das Recht auf Verbleib in dem Drittstaat, die Gewährleistung eines angemessenen Lebensstandards und der Zugang zu medizinischer Notfallversorgung und Grundschulbildung. Es wird auch sichergestellt, dass kein Mensch in ein Land zurückgewiesen werden darf, in dem ihm politische Verfolgung oder eine unmenschliche Behandlung drohen (non refoulement).
Behauptung: "Die Ausweitung der sicheren Drittstaaten erlaubt die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz als unzulässig. Das entspricht einer Ablehnung ohne eine echte inhaltliche Prüfung der Lage der betroffenen Person."
Richtig ist:
Das Konzept des sicheren Drittstaats gibt es bereits im aktuell geltenden Recht. Auch zukünftig müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Staat überhaupt als sicherer Drittstaat eingestuft werden kann - z.B. das Non-Refoulement-Gebot und die Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention oder die Garantie grundlegender Standards des Flüchtlingsrechts. Auch bei Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaats erfolgt eine inhaltliche Prüfung im Rahmen der Zulässigkeit des Asylantrags, nämlich ob das Konzept auf den jeweiligen Antragsteller angewandt werden kann.
Behauptung: "Ohne Rücknahmeabkommen funktioniert die Rückführung von den Einrichtungen an der Außengrenze nicht."
Richtig ist:
Es gibt bereits jetzt Rückübernahmeabkommen der Europäischen Union mit Drittstaaten, zum Beispiel mit der Türkei, Pakistan und Sri Lanka. Aktuell verhandelt die Europäische Kommission mit einer Reihe von Herkunftsländern über weitere Abkommen und arbeitet gemeinsam mit den Mitgliedstaaten an der Verbesserung der Kooperation mit den Herkunftsländern.
Für Deutschland kümmert sich der Sonderbevollmächtigte für Migrationsabkommen im Bundesministerium des Innern und für Heimat in enger Abstimmung mit unseren europäischen Partnern intensiv darum, die Zusammenarbeit mit Herkunftsländern im Migrationsbereich und damit auch bei der Rückübernahme eigener Staatsangehöriger zu verbessern.
Behauptung: "Die Einigung ist ein Anreiz, unbegleitete Minderjährige alleine nach Europa zu schicken."
Richtig ist:
Dass unbegleitete Kinder und Jugendliche grundsätzlich aus dem verpflichteten Grenzverfahren herausgenommen werden, dient gerade dazu, ihren besonderen Schutzbedürfnissen Rechnung zu tragen. Das Wohl des Kindes spielt immer eine besonders wichtige Rolle und steht nicht zur Disposition.
Behauptung: "Irreguläre Migration wird durch die Einigung nicht reduziert, sondern nur gefährlicher. Sie wird nichts an den vielen Toten im Mittelmeer und auf den Fluchtwegen ändern."
Richtig ist:
Deutschland setzt sich weiterhin mit Nachdruck dafür ein, dass das Sterben im Mittelmeer beendet wird. Nicht zu handeln würde bedeuten, das Elend an den Außengrenzen und das Sterben im Mittelmeer weiter zuzulassen. Das Ziel der Bundesregierung ist nicht weniger als ein Paradigmenwechsel in der gesamten Migrationspolitik. Dazu gehört, irreguläre Migration zu reduzieren und reguläre Migration zu ermöglichen, damit sich Menschen nicht mehr auf gefährliche Fluchtrouten begeben müssen. Zu diesem Zweck wurde die Position des Sonderbevollmächtigten der Bundesregierung für Migrationsabkommen geschaffen.
Behauptung: "Länder wie Polen oder Ungarn werden sich nicht an das Gemeinsame Asylsystem halten, eine solidarische Verteilung der Geflüchteten wird es also auch künftig nicht geben."
Richtig ist:
Bei den im Rahmen des JI-Rats vom 8. Juni 2023 beschlossenen Reformtexten des GEAS handelt es sich um Verordnungen, die nach Inkrafttreten unmittelbare Geltung für alle Mitgliedstaaten entfalten. Der Solidaritätsmechanismus ist für alle Mitgliedstaaten verpflichtend. Allerdings können die Mitgliedstaaten die Art ihrer Beiträge (Aufnahme von Geflüchteten, finanzielle oder alternative Beiträge) frei wählen. Die Mitgliedstaaten, die keine Geflüchteten aufnehmen, müssen also finanzielle oder alternative Beiträge leisten.
Behauptung: "Die Überstellungsfristen im Dublin-Verfahren werden beim Untertauchen der Schutzsuchenden verdoppelt: Kirchenasyl wird so quasi unmöglich gemacht."
Richtig ist:
Der Eintritt in das Kirchenasyl stellt nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 08.06.2020, 1 B 19.20) kein Untertauchen dar. Insofern wird in Kirchenasylfällen auch die verlängerte Überstellungsfrist nicht angewendet.
Behauptung: "Die Einigung widerspricht dem Geist des Koalitionsvertrages."
Richtig ist:
Das Gegenteil ist der Fall. Im Koalitionsvertrag ist festgeschrieben, dass sich die Bundesregierung für eine grundlegende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems einsetzt. Ziel war und ist eine Balance zwischen Verantwortung und Solidarität. Hierfür hat sich die Bundesregierung von Anfang an nachdrücklich eingesetzt - auch in den Verhandlungen, die nun zu einer Einigung geführt werden konnten.
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